23 November 2013
Macht hoch die Tür, die Tor‘ macht weit
Einen Monat und einen Tag dauert es noch, dann ist Weihnachten. Viele Kleine bekommen glänzende Augen und schreiben eifrig an ihren Wunschzetteln, viele Große bekommen schon Beklemmungen, wenn sie nur an die vorweihnachtliche Geschäftigkeit denken, und einigen Menschen senkt sich eine wehe Traurigkeit ins Herz. Häufig kommt die Frage im Kollegen- oder Freundeskreis: „Und, was macht ihr zu Weihnachten?“ Dann folgen von den einen genervte Berichte vom Feiertagsnomadentum durch Besuchsfahrten zu den Lieben oder andere erzählen vom Kochmarathon und der „buckligen Verwandtschaft“. Doch Menschen, die niemanden haben, mit dem sie feiern können, stehen häufig still daneben und antworten, falls sie auch gefragt werden, mitunter mit gespielter Munterkeit, dass sie es sich so richtig gemütlich machen oder versichern vielleicht, mit Weihnachten eigentlich gar nichts am Hut zu haben.
Schau hier einmal genauer hin, glimmt vielleicht doch ein Wunsch nach Gemeinschaft in deren Augen auf? Möglicherweise ist es der kürzlich verwitwete Nachbar, der keine Kinder hat, die alleinstehende Kollegin, die zu zurückhaltend ist, um sich selbst irgendwo einzuladen oder der nette Austauschstudent, der sich die Reise in sein Heimatland nicht leisten kann. Wie würde es dir gehen, wenn du in der Situation eines dieser Menschen wärest?
Weihnachten ist hierzulande größtenteils die Hochburg der Familie. Wer hat sonst noch Zutritt zu diesem engen Kreis? Die Schwiegerkinder, die Partner der noch nicht verheirateten Familienmitglieder oder höchstens etwas entferntere Verwandte. Freunde und Bekannte werden oft gar nicht mitgezählt. Aber wie wäre es, hier den Kreis einmal weiter zu ziehen und eine Einladung auszusprechen? Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit dass sich jemand, der allein ist, freut, wenn man ihm sagt: „Ich fände es schön, wenn Du zu uns kommen würdest. Feiere doch Heiligabend mit uns.“
Von solchen Abenden habe ich gelegentlich schon halbe Wunder gehört. Die griesgrämige Tante war plötzlich mit dem Austauschstudenten in ein Gespräch über Weihnachtsbräuche aus ihren Heimatländern vertieft und hatte endlich jemanden gefunden, der ihre Geschichten noch nicht kannte und ihr zuhörte. Eine sonst häufig krittelnde und gelangweilte Familie taute auf und freute sich, für den Witwer als neuen Gast ein bisschen da zu sein, damit auch er ein schönes Fest hat. Die alleinstehende Kollegin entpuppte sich als hervorragende Vorleserin der Weihnachtsgeschichte, zeigte sich textsicher beim Ansingen des Weihnachtsbaums und brachte eine ganz neue, heimelige Atmosphäre mit in die Runde.
All diese Geschichten haben sich tatsächlich ereignet und mit die beste Geschichte war diejenige, über den Austauschstudenten und die Tante. Diese Familie ging sogar noch einen Schritt weiter, um mit ihren Traditionen zu brechen. Das alljährliche, tatsächlich wohl ein wenig freudlose „Wir schenken uns aber nichts“ wurde umgewandelt in das Mitbringen von Essen. Die einen hatten feine Kartoffelklöße selbst gemacht, die nächsten brachten frisch zubereiteten Rotkohl mit, wieder ein anderer hatte einen leckeren Nachtisch gezaubert, die Gastgeber hatten einen Braten vorbereitet und so weiter. Sie hatten sich ein gemeinsames Essen geschenkt, denn der Gast sollte nicht traurig sein, weil die kühle Vernunft des Nicht-Schenkens herrschte und er nichts recht beitragen konnte als Dankeschön für die Einladung. Es war ein sehr gelungenes Weihnachtsfest, das alle als viel entspannter empfanden, als in vielen vorherigen Jahren. Und das Essen soll ausgezeichnet gewesen sein, denn jeder hatte liebevoll aus seinem mitgebrachten Anteil eine Köstlichkeit gemacht. Man hatte sich eben einfach Zeit genommen, um den anderen eine Freude zu bereiten oder insgeheim auf den Ausruf „ah, selbstgemachter Rotkohl!!“ gehofft.
Es ist aber nicht nur schön, einem Gast aus einer anderen Kultur die eigenen Bräuche vorzuführen. Häufig gibt es Familientraditionen, die ein ganz eigenes Weihnachtsfest gestalten und derer man sich gar nicht bewusst ist, weil man es schon immer so gemacht hat. Für einen Außenstehenden kann es wiederum interessant und neu sein, da er vielleicht von ganz anderen familiären Bräuchen und Eigenarten zu berichten weiß.
Falls der Heilige Abend einer Familie jedoch nicht geeignet erscheint, um einen „fremden Menschen“ dazu zu bitten, gibt es auch noch den ersten und zweiten Feiertag, zu dem man eine Einladung aussprechen kann. „Komm doch am ersten Weihnachtsfeiertag zu uns zum Essen, wir würden uns sehr freuen“, wäre auch eine schöne Möglichkeit, einen anderen Menschen mit einzubeziehen und ihm zu zeigen, dass er dazugehört. So etwas muss nicht zu einer Dauerregelung werden, denn vielleicht lebt die alleinstehende Person im nächsten Jahr schon wieder in einer anderen Situation. Aber diese Geste zeigt ihm, dass er nicht vergessen wird und in der feierlichen Zeit in einer Gemeinschaft willkommen ist.
Dies kann eines der wertvollsten Geschenke sein, das man einem Menschen und auch sich selbst geben kann, denn man hat das eigene Herz tatsächlich weit gemacht wie ein Tor, durch das auch einmal ein Mensch hereinkommen darf, der nicht zum traditionellen Kreis der Eingeladenen gehört. Damit ist ein weiteres Licht in der dunklen Zeit angezündet. Ein Licht, das hell leuchtet und wärmt, weil es aus Menschlichkeit entzündet wurde.
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