Lass uns ein Gedankenspiel machen: Stell Dir vor, Du rufst eine gute Freundin oder einen guten Freund an und möchtest Dich verabreden. Mal wieder ein Abend nur für Euch. Und dann kommt folgende Antwort:
Also diese Woche geht es gar nicht, nächste Woche vielleicht. Aber weißt Du, eigentlich ist es da auch schlecht, ich muss viel arbeiten, den Haushalt machen und die Steuererklärung. Dann bin ich mit meiner Mutter unterwegs, muss einkaufen und das Auto in die Werkstatt bringen. Die Küche muss renoviert werden, ich muss mich dringend mal wieder bei ein paar Leuten melden. Bekannten muss ich beim Umzug helfen und zum Ausgehen habe ich eigentlich kein Geld.
Ich würde mich reichlich abgewimmelt fühlen und mir denken, dass diese Person wenig Interesse daran hat, mit mir Zeit zu verbringen. Also lassen wir das und versuchen es später einmal, wenn ich nicht mehr eingeschnappt und enttäuscht bin. Aber ich bin ein guter Mensch, beruhige mich wieder und rufe noch einmal an.
Beim nächsten Mal fällt die Antwort dann richtig schroff aus: Wie gesagt, eigentlich habe ich zu viel zu tun und für Dich keine Zeit. Im Grunde bist Du langweilig und es gibt wichtigere, interessantere Leute, mit denen ich zusammen sein will. Deine Meinung und Deine Wünsche interessieren mich nicht und wenn ich mit Dir allein bin, mache ich mir nur Sogen oder werde traurig.
Also jetzt bin ich richtig sauer und kündige die Freundschaft. Mit der Person rede ich kein Wort mehr, da könnte sie noch so dringend Rat oder Unterstützung gebrauchen. Mit mir nicht! Wenn sie irgendetwas von mir will, mache ich vielleicht vordergründig mit, aber lieber stelle ich mich doch schnell quer, verweigere mich und ich wünsche ihr eine dicke Grippe, kräftige Rückenschmerzen oder Schlimmeres an den Hals, damit sie mal wieder zur Vernunft kommt. So geht man nicht miteinander um!
Und was ist, wenn dieser unverschämte Freund ich bin – und zwar mir selbst gegenüber? Wenn ich selbst so rabiat mit mir umgehe, fühle ich mich abgewertet und abserviert. Nie ist Zeit für mich, immer nur für andere und für tausend Pflichten. Da ist es kein Wunder, wenn meine innere Stimme nicht mehr mit mir spricht, mein Körper quer schießt, mein Geist wirr und ärgerlich wird und ich mich kläglich und ausgelaugt fühle.
Dabei gibt es für ein so mieses Verhalten mir selbst gegenüber gar keinen Grund, denn ich bin eigentlich ganz nett, interessant und verträglich. Warum sollte ich diese Freundschaft also nicht pflegen und regelmäßig ein bisschen Zeit mit mir verbringen? Dann komme ich viel besser mit mir zurecht und zeige mir, dass ich es mir Wert bin – damit pflege ich mein Selbst-Wert-Gefühl.
Wenn ich mit anderen nie so umgehen würde, warum sollte ich es mir selbst antun?
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