15 Mai 2011

Steine im Weg

Es passiert doch immer wieder. Das Leben legt uns Steine in den Weg, kleine Stolpersteine, veritable Felsbrocken oder sogar einen riesigen Geröllhaufen und wir kommen nicht weiter. Dann kann man ernsthaft und lange wütend werden oder sich endlos beklagen oder völlig resignieren und einfach auf einem Stein sitzen bleiben. Man kann sich auch nur kurz ärgern, setzen, ausruhen und überlegen, was zu tun ist. Wenn man dann einen sehr weisen und lichten Moment hat, könnte man beschließen im übertragenen Sinne etwas aus den Steinen zu bauen, wenn man schon nicht weitergehen kann. Z.B. ein Haus der Offenheit und Verbundenheit, in dem Familie und Freunde willkommen sind, also geduldig in kleinen Schritten das Problem überwinden und damit eigene Fähigkeiten schulen, ein großherzigerer Mensch zu werden. Oder man baut eine Brücke aus Erfahrungen, die auch vielen anderen nützlich ist, wenn sie sich in einer ähnlichen Situation befinden. Mauern sind auch beliebt, schließen jedoch uns selbst ein und das Leben aus. Vielleicht gehören diese Steine sogar zu unserem Weg und wir sollen sie nutzen, damit wir nicht geradeaus weiterhasten sondern tatsächlich ein Werk schaffen, genau an dieser Stelle. Vielleicht ist das die Aufgabe, die uns den flott Reisenden und mäßig aufmerksam Schauenden austreibt und uns zu einem plan- und kraftvollen Baumeister macht.
 
Die Idee ist gut, die miesen, schweren Steine liegen schon in ausreichender Menge da, und nun? Was würde man denn in der Realität tun, wenn man tatsächlich etwas bauen will? Erst einmal sehen, wie es mit anderen Ressourcen aussieht, also mit den eigenen körperlichen Kräften, dem Geld, dem geschätzten Zeitaufwand, der Größe des Grundstücks, der Geduld und natürlich mit guten Helfern. Ist weit und breit niemand zu sehen? Dann muss mit der Lösung noch etwas anderes trainiert werden, nämlich um Hilfe zu bitten und diese auch anzunehmen. Das ist für so manchen nicht einfach, denn wir sind es gewöhnt, uns selbst und allein um unsere Angelegenheiten zu kümmern. Oder wir haben uns mit Menschen umgeben, die selbst zu hilflos oder viel zu beschäftigt sind, um eine Hand zu reichen. Möglicherweise ist es dann die eigentliche Aufgabe, sich nach einem neuen Umfeld umzusehen. Weg von den gewohnten Bahnen und Ausschau halten nach den richtigen Mitstreitern, die anpacken, wenn es nötig ist. So wird man nicht nur zum Baumeister sondern muss auch lernen, gute Beziehungen aufzubauen und zu pflegen.

Ach du Schreck, andere Menschen um Hilfe bitten? Wie unangenehm. Das sieht ja so aus, als ob ich nicht in der Lage bin, das selbst zu schaffen. Und überhaupt, ich störe die anderen bestimmt und stehe dann auch noch in ihrer Schuld. Das kann ich vielleicht gar nicht wieder gutmachen oder bezahlen. Sie tun das sicher auch nur ungern für mich und beschweren sich und ich bin ihnen lästig. Was wäre, wenn das so nicht stimmt? Wie sieht es denn in mir selbst aus, wenn jemand mich bittet, etwas für ihn zu tun? Wenn es in meinen Möglichkeiten steht, tue ich es gern. Ich fühle mich gebraucht, freue mich über das Vertrauen und kann beweisen, was ich leisten kann oder was für tolle Kontakte und Informationen ich habe. Sobald es dann getan ist und ich vom anderen ein frohes und aufrichtiges Dankeschön höre, freue ich mich und bin regelrecht beflügelt. Ich habe dazu beigetragen, eine schwierige Aufgabe zu lösen und fühle mich großartig.

Das Ganze ist sogar wissenschaftlich belegt und nennt sich „Helper’s High“, also die Hochstimmung, die ein Helfer empfindet. Der Amerikaner Allan Luks, der diesem Phänomen nachging, schloss sich nach seinem Jurastudium dem Friedenscorps in Venezuela an. Sein Weg führte ihn bis hin zur Leitung verschiedener gemeinnütziger Organisationen in den USA. Nach eigenem Bekunden schenkte ihm das Helfen so viel Freude, dass er dieses Gefühl Anfang der 1990er Jahre erforschte und Abhandlungen über die Heilkraft des Helfens verfasste. Anderen Menschen zu helfen, stärke die körperliche und geistige Gesundheit. Die Befragung von mehr als 3000 weiblichen und männlichen freiwilligen Helfern ergab, dass sich diese einer wesentlich besseren Gesundheit erfreuen und ein größeres Selbstwertgefühl besitzen im Gegensatz zu Personen, die nicht helfend tätig waren. Der biochemische Nachweis zeigte, dass ehrenamtlich arbeitende Menschen eine größere Endorphinausschüttung erfahren. Endorphin ist ein Produkt des Hirnstoffwechsels, ein körpereigenes Opiat, das u.a. Schmerzen reduziert und leicht rauschhafte Zustände hervorruft. Wohlbefinden und Selbstwertgefühl steigern sich, der Helfer wird im wahrsten Sinne des Wortes „high“.

So betrachtet tue ich vielleicht anderen sogar einen Gefallen und sorge für deren Gesundheit, wenn ich sie bitte, mir bei einem Problem behilflich zu sein. Das ist doch eine gute Nachricht für all diejenigen, die sich schwer damit tun, einen anderen Menschen um Hilfe zu bitten. Wer weiß, vielleicht ist das der Kitt, den wir ab und zu einmal brauchen, um unseren Zusammenhalt zu spüren und zu sehen, wie tragfähig unsere Freundschaften sind. Möglicherweise ist das sogar die Aufgabe einiger Stolpersteine, damit wir selbst und unsere Beziehungen daran wachsen können.

PS Wie sähe das Ganze wohl aus der Sicht der Steine aus? Etwa: „Können die Leute nicht EINMAL von selbst wachsen? Und dann diese Undankbarkeit. Wir bemühen uns vom schönen, luftigen Berg herunter, machen unseren Job und dann zetern sie herum…“

Mehr über Helper’s High auf der englischen Webseite von  >> Allan Luks

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