21 April 2015

Der Dackel und der Schäferhund



Ein Dackel machte seinen täglichen Inspektionsrundgang, um zu prüfen, ob auch alles in Ordnung sei. Auf der Wiese hinter dem Haus, in dem er wohnte, sah er einen Schäferhund sitzen, der da nicht hingehörte. So lief er schnurstracks zu ihm, um ihm Bescheid zu geben, er solle sich davonmachen. Kurz bevor er den anderen Hund erreichte, bemerkte er jedoch, dass dessen Haltung eingefallen war und er so gar nicht seinem Bild von einem Schäferhund entsprach. Er ging näher heran, setzte sich hin und sah den großen Hund aufmerksam an.

„Was tut Er hier auf meiner Wiese am hellichten Tag?“, fragte er in seiner Rolle als Inspizient.

„Ich bin müde, so schrecklich müde und bin zu nichts nütze. Außerdem habe ich Angst, weil mich ein schrecklicher Dämon verfolgt“, entgegnete der Angesprochene.

„So, was tut er denn, der Dämon, dass er Ihn so quält?“, erkundigte sich der Dackel neugierig.

„Er sieht alles, was ich tue. Kaum setze ich mich für einen Augenblick, schreit er, dass ich gefälligst etwas tun und nicht unnütz herumsitzen soll. Außerdem sagt er mir, ich sei faul und dumm und fragt mich, wer ich eigentlich glaube zu sein, befiehlt mir, mich gerade zu halten und in Sprunghaltung meiner Wachtätigkeit nachzugehen“, stöhnte der Angesprochene.

„So? Wie riecht er denn, der Dämon?“, fragte der Dackel weiter.

„Ich weiß nicht, wie er riecht. Ich habe versucht, seinen Geruch im Gras zu finden, aber da riecht es nur nach Gras. Ich habe versucht, ihn auf der Straße zu finden, aber es riecht nur nach Straße. Ich glaube, er ist so mächtig, dass er sich unriechbar machen kann“, erwiderte der Schäferhund.

„Aber er muss doch etwas fressen. Was frisst er denn, Sein Dämon?“, wollte der kleine Hund wissen.

„Ich weiß nicht, was er frisst. Er scheint nichts zu brauchen und er braucht auch keine Ruhe, denn er ist immer da, Tag und Nacht. Immer gibt er mir Befehle, immer ist etwas zu tun, immer ist auf ihn zu hören und ich kann kaum mehr schlafen davor“, jaulte der Schäferhund verzweifelt.

„Ja, aber wie sieht er denn aus, der allgegenwärtige Dämon? Kann ich ihn mal sehen?“, sprach der Inspizient, langsam ein wenig ungeduldig werdend.


„Ich weiß nicht, wie er aussieht, er zeigt sich nie. Deshalb habe ich ja solche Angst. Wenn er sich zeigen würde, könnte ich ihn jagen und bekämpfen. Aber so jagt und bekämpft er mich und es gibt einfach kein Entkommen vor ihm“, flüsterte der Schäferhund und dabei duckte er sich und sah sich furchtsam nach allen Seiten um.

Der Dackel überlegte einen Moment, schüttelte sich, sodass seine Schlappohren um seinen kleinen Kopf schlackerten und sprach: „Hm, den kenne ich, zu mir kommt er auch manchmal.“

„Was?“, rief da der Schäferhund, „Was tust du denn, wenn er dich so traktiert?“

„Ich sage ihm, er soll was Anständiges fressen gehen, sich ausschlafen und wiederkommen, wenn er bessere Laune hat. Außerdem nehme ich von ihm nur Verbesserungsvorschläge für meine Arbeit entgegen und prüfe, ob sie etwas taugen. Aber sein Geschimpfe und seine Befehle höre ich mir nicht an“, berichtete er mit hochgereckter Nase.

„Und das funktioniert?“, wollte der große Hund mit einigem Erstaunen wissen.

„Na höre Er mal, was hat mir denn schon jemand zu sagen, der nach nichts riecht, der mir nichts wegfrisst und zu feige ist, sich zu zeigen? Womöglich existiert er auch nur in meiner Einbildung und dann hat er erst recht nicht darüber zu urteilen, wer ich bin und wie ich was tue. Außerdem mag ich keine scharfen Befehlsstimmen. Da weiß er, dass bei mir damit gar nichts zu holen ist. Und jetzt entschuldige Er mich…“, sprach‘s und sprang seines Weges, denn der Dackel hatte eine Libelle und einige Schmetterlinge gesehen, die unbedingt zurechtgewiesen werden mussten, nicht einfach im Zickzackflug über die Wiese zu albern.

Der Schäferhund war bass erstaunt über die Rede des kurzbeinigen, kleinen Kerls, der wie ein stolzer Recke über den Rasen sprang und sich von nichts aus der Ruhe bringen ließ. „Auch wenn er von Libellen und Schmetterlingen keine Ahnung zu haben scheint, steckt in dem kleinen Kläffer doch mehr, als man denkt“, sagte der Schäferhund bei sich und meldete sich gleich am nächsten Tag für einen Rhetorikkurs bei der Volkshochschule an. Dem Dämon wollte er ordentlich was erzählen und zwar in klugen, geschliffenen Worten.


Lebenslilie

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